Weil es an der Zeit ist wieder Standpunkte einzunehmen und zu vertreten

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WEIL ES AN DER ZEIT IST WIEDER STANDPUNKTE EINZUNEHMEN UND ZU VERTRETEN – EIN INTERVIEW MIT SARAH LÜDEMANN
VON PAULINA SEYFRIED

In deinem Text „Transformation of mind = Transformation of matter“ (2015. IFNAT) sprichst du davon, dass Kunst in der heutigen Zeit als eine der wenigen Bereiche des Lebens noch in der Lage ist extreme, im besten Falle ambivalente Emotionen herzurufen und den Betrachter damit in seiner Wahrnehmung zu stören. Wie ist das zu verstehen und kann diese Auffassung als Motiv deines künstlerischen Schaffens gesehen werden?

Ein Paradebeispiel ist meine Video-Performance Schnitzelporno. Die absurde Kombination aus der zarten Farbgebung und zierlichen Händen und dem gewaltsamen Akt der Zerfleischung ruft im Betrachter gegensätzliche Empfindungen hervor, er ist angezogen und abgestoßen zugleich. Verwirrung steht im Raum und regt unweigerlich einen Denkprozess an, dessen Verlauf stets subjektiv und unkontrollierbar ist, wodurch jede persönliche Ansicht ebenfalls verwirrend, anregend, abstoßend – kontrovers, streitbar sein kann wird. Damit richte ich mich bewusst und mit voller Kraft gegen die Angst vor einer falschen Antwort, der falschen Referenz, der Einseitigkeit, der Linearität, schließlich auch der Konsumierbarkeit von Kunst. Kunst ist Emotion, Emotion ist nicht logisch greifbar, damit nicht konsumierbar und doch entwächst ihr eine andere Form von (körperlichem, emotionalem) Intellekt.

Dein dir vertrautestes Medium ist unter anderem dein eigener Körper, gleichzeitig arbeitest du Multimedial (Video, Skulptur, Arbeiten auf Papier, Rauminstallationen). Gemein haben alle deine Arbeiten ihre augenscheinliche Schönheit, Zartheit, Weiblichkeit. Damit könnte man dich auch in die Kategorie feministische Künstlerin einordnen, siehst du dich selbst als Vertreterin des Feminismus?

Am Anfang meines künstlerischen Schaffens stand zu einem gewissen Grad auch ein Selbstfindungsprozess für den ich meinen eigenen Körper genutzt habe. Später war der eigenen Körper, als Model, ganz pragmatisch gesehen am einfachsten für meine Zwecke zu nutzen. In Zukunft – und dabei steht mein Manifest als Übergang – soll Körperlichkeit und damit ich selbst als Künstlerin zugunsten der Idee noch weiter in den Hintergrund rücken. Klassischer Feminismus ist für mich eher einseitig und linear. Feministische Ideen müssen neu aufgesetzt werden und im Sinne des ‚Feministischen Manifests‘ von Jessa Crispin erweitert werde. Es geht eben auch darum das System (von Machtdemonstration und Unterdrückung als Wechselspiel) zu durchbrechen. Außerdem empfinde ich das Weibliche, als lebensschenkendes-lebensnehmendes, und damit stärkstes Kraftfeld. Frauen müssen Stellung beziehen. Sie müssen sich manifestieren!

Du sagst dein Manifest This is My Land steht als Übergang zu einer neuen Art des Denkens und künstlerischen Schaffens?

This is My Land ist Ende und Anfang zugleich. Es summiert verschiedene Gedankenstränge der letzten Jahre, es zeigt, wie z.B. viele meiner Loop-Video-Performances: „Linear time does not exist!“ Zeit sollte stattdessen als Fläche oder als Kreis betrachtet werden. Das würde unsere Realität völlig neu definieren.

Außerdem proklamiere ich ganz stark das Denken mit dem Körper und das Stürzen der perfiden Vorherrschaft der Ratio. Wissen sitzt auch in der Erfahrung mit unseren Sinnen. Animalisches Denken. Auch deswegen die grobschlächtige Geste des Druckens meines Geschlechtsteils (Pussy Prints), aber in eben in Gold, der göttlichen Farbe. Hier vereint sich animalisches und menschliches Denken zu göttlichem Denken.

Wieso ist es dir wichtig, nicht nur performativ vorzutragen, sondern auch zu publizieren?

Beide Formen des Manifestes existieren unabhängig. Das gedruckte Wort hat mehr Gewicht, es ist manifestiertes Gedankengut. Das Performative lässt das Gegenüber durch Gestik, Mimik, Intonation und physische Präsenz teilhaben, konfrontiert ihn gezwungenermaßen und ermöglicht den Widerspruch und die Diskussion, die ich mir so sehr wünsche.

Woran orientiert es sich formal und ideenspezifisch?

Wie Allen Ginsberg aus dem Bauch heraus ins Absurde führt und Verwirrung stiftet, ist This is my Land absurd (und/ -) poetisch, pures Leben und Politik – Es ist Neues Denken und soll Neue Realitäten schaffen und das in direkter, performativer Konfrontation. Wie Karl Marx, fordere auch ich mit meinem Manifest eine Umstrukturierung des Status quo. Dabei prangere ich das System an, das System in dem wir leben und besonders das System in dem wir denken, in dem alles und jeder immer noch fein säuberlich unterteilt wird in Kategorien: Mann-Frau (Orientierung: biologisches Geschlecht), Alt-Jung (Orientierung: Geburtsdatum im Reisepass), Reich-Arm (Orientierung: Bankkonto) – es ist alles Beschiss. Nein, Fakten sind nicht Realität, gerade im Moment ist die Diskussion um Fakten in vollem Gange – postfaktisch! Ich meine genau das, dass Fakten Humbug sind. Heute ist die Erde eine Scheibe, morgen eine Kugel und übermorgen etwas anderes. Fakten sind zeitgebunden und die Versteifung auf Fakten ist gefährlich. Es werden Realitäten geschaffen und existent gemacht, anhand von sogenannten Fakten, nur damit diese Fakten widerlegt werden können und eine neue Realität geschaffen wird. Es ist existent in dem wir es existent machen. Wir können alles „existent“ oder „normal“ machen. Dazu fällt mir auch Yves Klein und sein „Into the Void“ ein. Durch Umdenken existent machen, was unmöglich scheint!

Warum JETZT ein Manifest?

Weil es an der Zeit ist wieder Standpunkte einzunehmen und zu vertreten. Theoretische Ansätze müssen mit der Praxis der Gegenwart konfrontiert werden.

Große Umweltzungen haben in der Geschichte der Menschheit immer stattgefunden, und auch in diesem Jahrzehnt, mit derzeitigen, globalen Geschehnissen (Terrorismus, ISIS, Trumpwahlen, Religion, Fake News), Forschungsständen zu Neurowissenschaften (Epigenetik, Neuroplastizität, Gedächnis) und Technologie erdenken wir neue menschliche Realitäten. An vielen Stellen ist heute vieles möglich, stellt in unserer westlichen Welt ein Überangebot dar an dem jüngere Generationen kläglich scheitern. Was sollen wir glauben? Was können wir tun? Wo geht es hin? Die alten Fragen, deren Antworten heute mehr denn je bereits erschöpft scheinen. Gleichzeitig existiert eine Selbstzensur in unseren Köpfen, eine Überhandnahme von Virtualität und die generelle Überbeanspruchung der Ratio (als größte menschliche Errungenschaft). Diese greife ich mit meinem Manifest besonders an. Alle unsere Sinne erfassen Informationen, die wir nutzen können, doch verlassen wir uns nur auf den Kopf, nicht auf den Körper. Die Wahrheit liegt in der Luft, im mit dem Verstand allein nicht Greifbaren.

Die Menschen lüstern nach Wahrlichem, nach Anders, nach „Wie soll ich das machen?“ – Antworten ! Die Diskussion an der ich mit diesem Manifest teilnehmen möchte, mit dessen Publikation & Vorlesung ich zu hitzigen Debatten treiben möchte ist JETZT in vollem Gange.

Wir wissen alles – wir trauen uns nur nicht!

Ich schlage vor vieles neu zu denken – besonders das Denken selber.

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7 Jahren ago

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